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Hans Theessink Jedermann Remixed

Düster mit strichweisen Aufhellungen

Hans Theessink lebt seit einigen Jahrzehnten in Österreich, und so liegt es vielleicht näher als man denken würde, dass dem gebürtigen Holländer Theessink der prestigeträchtige Auftrag erteilt wurde, bei den Salzburger Festspielen den berühmten Jedermann in einer Remix-Version vertonen zu können. Dabei gelang ihm — dem Theaterstück angemessen — düsteres und bedeutungsschwangeres Album mit wenigern sehr stimmigen Eigenkompositionen und einer Reihe von Coverversionen, die es in sich haben, was das Vorbild angeht, aber auch was Theessinks Interpretationen angeht. Es entstand ein spannendes eigentliches Konzeptalbum um die Themen, die im Blues schon immer präsent waren: Der Tod, der Teufel und die Liebe.

Konzeptalbum zu Tod und Teufel

Hans Theessink präsentiert den Blues als Weltmusik, indem er das Stück Jedermann von Hugo von Hofmannnstal (1874-1929) vertonte, das 1911 uraufgeführt wurde und an den Festspielen in Salzburg zum 90sten Mal zur Aufführung gelang (die zehn fehlenden Aufführungen werden den beiden Weltkriegen geschuldet sein). Dazu präsentiert er ein Panoptikum von Roots- und Bluesklängen und –gesängen, stets mit dem eigentlichen Stück im Sinn, und schafft es so, den Österreicher Hofmannstal zu «verbluesen», wenn man so will.

Die Geschichte geht so, dass angeblich ORF-Fernsehregisseur Hannes Rossacher seinen Freund Theessink zu einem gemeinsamen Projekt überredete, das diesen Sommer in Salzburg zur Aufführung kam: Aus den 90 vergangenen Jahren wurden Aufnahmen zusammengeschnitten zu einer Collage von Jedermann-Inszenierungen, in dem die unterschiedlichsten Schauspieler und verschiedenen Theatermoden des vergangenen Jahrhunderts als Film gezeigt wurden. Das Stück blieb immer dasselbe: Wie bei einem Glockenspiel treten im Stück neben den Figuren von Gott und Teufel auch der Tod, der Mammon, der Glaube und andere allegorische Figuren auf. Der reiche Lebemann Jedermann sieht sich unerwartet dem Tod gegenüber, der ihn vor seinen Schöpfer führen will. Weder sein treuer Knecht, noch seine Freunde, noch sein Geld wollen ihn ins Grab begleiten, bis er am Schluss bereut und sich zum Christentum bekennt, worauf Jedermann als reuiger Bekehrter ins Grab steigt.

Das Ergebnis war angeblich filmisch interessant bis ansprechend, und dazu lieferte Hans Theessink den Soundtrack, der nun als CD mit 18 Titeln vorliegt. Theessink und Rossacher suchten oder schrieben Bluessongs, die sich für dieses Thema eigneten und so enthält die CD 10 Coversongs und 8 Eigenkompositionen. Darunter auch Titel, die nicht aus dem Genre des Blues stammen, aber nahe Verwandte sind, und die in Theessinks Lesart zu Bluesongs werden.

Songauswahl und Band

Die Covertitel sind Johnny Cashs The Man Comes Around beim Auftritt des Tods, während die sündige Buhlschaftzu Ray Charles´ I Got A Woman eintritt. Jedermann selbst kriegt Bo Diddleys I´m A Man und man kann sich denken, was bei Sympathy for the Devil geschieht. Hinzu kommen Curtis Mayfields People Get Ready (zuvor schon auf Bridges veröffentlicht), Tom Waits‘ Way Down in the Hole, Hank Williams‘ Angel of Death sowie Peter Chatman und Lewis SimpkinsMother Earth (zuvor auf Visions veröffentlicht), bekannt vielleicht durch Memphis Slim bzw. Eric Burdon oder unlängst Cyndi Lauper. Die beiden Stones-Covers sind No Expectations und Sympathy for the Devil (beide aus Beggar’s Banquet). The Beast in Me (von Nick Lowe) wurde ebenfalls von Cash eingespielt. Schliesslich endet die CD mit Games People Play von Joe South.

Manche dieser Titel sind wahre Monumente der Musikgeschichte, und Theessink weiss um deren unübertroffene Qualität. So sagt er bescheiden: «Die Herangehensweise unterscheidet sich natürlich völlig von gewohnten Platten. Indem du Songs zu vorgegebenen Themen wählen musst, kommst du zu Nummern, die du wahrscheinlich normalerweise niemals angerührt hättest. Ich glaube zum Beispiel kaum, dass ich jemals Lieder von den Stones aufgenommen hätte. Dabei liebe ich diese Nummern! Ein wunderbarer Prozess, auch für mich selbst. Oder Johnny Cashs The Man Comes Around. Für mich ein Song, den man eigentlich gar nicht anrührt, so unübertroffen ist das Original.»

Terry Evans und Bobby King, aber auch Brigitte Guggenbichler und Meena Cryle  unterstützen Theessink gesanglich, sonst kommen musikalisch dazu: Roland Guggenbichler (alle Tasten), Tobias Tautscher und Erich Buchebner am Bass, Knud Møller an der elektrischen Gitarre und Harry Stampfer am Schlagzeug. Dazu kommen Dumisani Moyo, Blessings Nkomo und Vuda Ndlovu mit Gesang und Perkussion und Maximilian Djokic an der «Beatbox» Cajón.

Kritik

Was nun die Bewertung der Titeln angeht, so ist das natürlich wie immer jedermanns (no pun intended) Geschmack, aber mir gefielen die Coverversionen insgesamt weniger gut als die Eigenkompositionen und neu arrangierten Traditionals. Dies hat viel damit zu tun, welche Rolle der Sänger einnimmt.

Die CD eröffnet mit einem Cover von Tom Waits Way Down in The Hole, einem wunderbaren Song, bei dem der Mensch bestürmt wird, den Teufel auch ja in seinem Loch zu behalten. Was bei Waits für die persönlichen Teufel wie Ängste oder Aggressionen ebenso gemeint sein dürfte, wird hier dem Stück angemessen auf DEN Teufel bezogen, und sofort ist klar, welche Rolle Theessink sich zugedacht hat. Hans Theessink ist der Geschichtenerzähler, der uns durch die morbiden Bilder der einzelnen Songs führt. Er ist bei Sympathy nicht der Teufel, den Jagger verkörperte und bei The Man Comes Around kündet er auch nicht vom Herannahmen des Jüngsten Gerichts wie Johnny Cash. Dadurch geht diesen Titel das Engagement des Originals ab, sie werden zum Soundtrack. Das ist legal und richtig, aber die Titel kommen deshalb nicht an die Originale heran. Das fällt vielleicht bei der Aufführung nicht auf, aber auf der CD macht es diesen Eindruck. Grosse Ausnahme hier sind I Got a Woman, das Hans Theessink zum Gitarrenblues verwandelt. Die Version erinnert an jene von Pink Anderson und sie hat ein wunderbares Feeling verliebter Freude in sich. Auch Curtis Mayfields People Get Ready gefiel gut.

Als extra für diese Aufführung geschriebene Eigenkompositionen sind Ready for the Ride und Mother’s Advice anzusehen, zwei wunderschön lyrische Titel mit feinem Mandolineneinsatz und schönem Blues-Groove. Die Titel Cokoo und Call Me waren bereits früher aufgenommen. Zudem hat Theessink drei Traditionals neu arrangiert: Satan Your Kinddom Must Come Down, You Gonna need Somebody on Your Bond und Oh Sinner Man. Diese Titel tragen die Handschrift des 63-jährigen Holländers, das ist virtuose Gitarrenarbeit, klassischer Country-Blues in der Tradition Broonzys und anderer Vorbilder. Schöne Slide-Passagen zeichnen die Titel, zeitweise kommen Erinnerung an Ry Cooder auf. Auch I Got a Woman zählt musikalisch in diese Kategorie.

Etwas überhoben hat sich Hans Theessink mit den mutigen Cover von Johnny Cashs Titeln, insbesondere The Man Comes Round. Dieser Titel der american recordings Reihe, des Spätwerks von Johnny Cash ist in der Originalaufnahme eine Predigt, eine Schilderung der jederzeit herannahenden Apokalypse. Bei Cash ist der Titel eine Gruselgeschichte, geboren aus dem einfachen Glauben der amerikanischen Landbevölkerung, die den Teufel fürchtet und die Apokalypse, wie sie in «Revelation» dargelegt ist. Theessink singt zwar auch tief, es klingt aber mehr wie ein Selbstgespräch. Die ominösen religiösen Anspielungen («The Father Hen will call his chicken in»), die farbige Sprache, in der die Zeit der grossen Trennung zwischen Gut und Böse erfolgen wird, die Gänsehaut hervorrufen, sind hier nur mehr die Aufzählung einer Liste. Kurzum: Cash war vom Glauben an die Apokalypse überzeugter als Theessink, was man im Stück irgendwie hört. Das wird besonders offensichtlich beim misslungenen Schlussakkord. Das Lied endet mit einem klassischen fröhlichen Country-Lick.

Joe Souths Titel Games People Play  (nicht der gleichnamige von Alan Parson’s Project) ist ebenfalls ein Song mit berühmten Vorbildern: Duane Allman spielte einst hinter King Curtis melodischem Saxophon seine Slide-Gitarre, Georgia Satelites steht für die rockige Version. Schliesslich hat auch die Schweizer Folk-Blues-Formation Liebi, Grüess & Schöni ein Cover dieses Titels veröffentlicht. Diesen Titel interpretiert Theessink auf ansprechende Weise neu und macht ihn sich auf zarte Weise zu eigen.

Schliesslich zum Piece de Résistance: Sympathy for the Devil. Das Original der Rolling Stones sollte hinlänglich bekannt sein, und wo dort der Bongo-Rhythmus den Gesang voranpeitscht, die Instrumentierung ein Höllenspektakel bietet, wird es auf Jedermann Remixed zu einem gemütlichen Porch-Song. Der Charakter des Stückes wird völlig verändert. Theessink macht einen akustischen Titel draus, der auch nicht sehr bluesig als folkiger Protestsong daherkommt. Anstelle der kreischenden Tele Keith Richards kriegen Mundharmonika und akustische Slide-Gitarre die Soli, aber alles ist schön und gemütlich, der Teufel relaxt. Das kann man natürlich machen, aber es erschloss sich mir zumindest nicht.

Wie dem aber auch sei, all diese Versionen, ob sie einem persönlich nun gefallen mögern oder nicht, verknüpfen sich zu einem grossen Sittengemälde, einem wirklich grossartigen Konzept-Bluesalbum, in dem auch die kritisierten Titel ihre Funktion haben. Es ist eine tolle Leistung, die Hans Theessink in einem sonst schon sehr beschäftigten Jahr fertig brachte. Er erntet mit diesem Jedermann auch die Früchte seinerlangjährigen Arbeit, seiner musikalischen Vielseitigkeit und seiner Praxis. Mit Jedermann – Remixed the Soundtrack gelang Hans Theessink ein wunderbares Album, das den europäischen Blues bereichern kann.

Tracklist
01 Way Down in the Hole                                           03:40
02 The Man Comes Around                                       03:11
03 No Expectations                                                    05:14
04 I'm a Man                                                               04:10
05 The Beast in Me                                                    01:56
06 Satan, Your Kinddom Must Come Down               03:21
07 Cuckoo                                                                   05:01
08 Ready for the Ride                                                 04:51
09 Mother's Advice                                                      02:35
10 I Got a Woman                                                       04:12
11 You Gonna Need Somebody on Your Bond           03:07
12 The Angel of Death                                                03:38
13 Mother Earth                                                          03:37
14 Call Me                                                                   03:48
15 Oh Sinner Man                                                       02:32
16 People Get Ready                                                  03:24
17 Sympathy for the Devil                                           07:20
18 Games People Play                                                05:06