Bluesfestival Baden 2019
Grosse Bühne für grosse Unterhalter
Das Bluesfestival Baden dauert jeweils eine ganze Woche, und es gibt kleinere Konzerte an verschiedenen Lokalitäten, aber am Freitagabend wird es jeweils «ernst» mit den Konzerten im Nordportal. Im Schatten ehemaliger Industriegebäude, abgeschirmt von der Stadt, aber auch im Bewusstsein, unter sich zu sein, finden im Rahmen des Festivals immer sehr schöne Konzerte statt, und so auch in diesem Jahr, als mit Pascal Geiser und der Toronzo Cannon Blues Band zwei grossartige Entertainer zu hören waren, die sich um das Publikum bemühten und sicherstellten, dass die zahlreichen Besucher im sehr gut gefüllten Nordportal gut unterhalten wurden mit verschiedenen Varietäten des Blues. Im Falle von Pascal Geiser wurde deutlich, wieviel ein Schweizer Bluesman erreichen kann, wenn er auf die Befindlichkeiten des Publikums eingeht. Und Toronzo Cannon zeigt, das der Blues in Chicago weiterlebt, auch wenn die Gründerväter grösstenteils nicht mehr da sind, ihn zu spielen.
Pünktlich um 20:00 Uhr ging es los: Im «Nordportal» wurde Pascal Geiser angekündigt, der Schweizer Bluesman, der mit seinem Erstlingsalbum Lucky Man einen unerwarteten und erfreulichen Erfolg feierte, das das Album auf Platz 2 der Album-Charts debütierte. Das habe noch nicht zu grossem Reichtum geführt, wie ein sehr anregend plaudernder Geiser zwischen den Songs verriet, aber mindestens brachte ihn das als Headliner nach Baden. Begleitet wurde er dabei von vier Musikern, die alle nicht auf der CD zu hören sind, die aber jeweils äusserst Substantielles zum Sound beizutragen hatten: Neben Geiser, der Gitarre und Harp spielt, kam der Zofinger Lead-Gitarrist Rolf Mosele zum Einsatz, die Rhythm Section bildeten der «Fricktaliener» Bassist David Jegge und der Schlagzeuger Lorenz Hunziker, ursprünglich Basler aber inzwischen in München tätig. Etwas wie ein Kirchenorganist wirkte der aus Freiburg im Breisgau stammende Pianist und Organist Thomas Bauser, der aber jegliche Zurückhaltung fallen liess, wenn es an ein Solo ging, die er jeweils wunderbar spielte. So jemand wünscht man sich für jede Band an den Tasten.
Was den Auftritt von Pascal Geiser so speziell machte, war nicht das Repertoire – eine Handvoll Covers und eine Handvoll Eigenkompositionen von Lucky Man – sondern das herausragende an diesem Auftritt war die Art, wie Geiser sich um das Publikum bemühte. Schweizer Konzertbesucher sind in der Regel eher zurückhaltend; ein Konzert wird besucht und wenn der Headliner versucht, das Publikum zum mitmachen zu bewegen, dann kann das schwierig werden, weil Schweizerinnen und Schweizer gerne im Rhythmus mitwippen, aber einer stärkeren Beteiligung gegenüber oftmals skeptisch sind. Manche Künstler verzweifeln daran oftmals, etwa der grosse Buddy Guy, bei dem man immer den Eindruck hat, er sei etwas enttäuscht ob der verhaltenen Reaktion eines Schweizer Publikums.
Pascal Geiser weiss, dass man sich kontant ums Publikum bemühen muss, und die Leute ständig anfeuert, damit sie mitmachen, und das tat er dann auch unermüdlich. Mitklatschen, Mitsingen, auf seine Moderationen reagieren, all das kam immer erst nach dem zweiten Aufruf, aber das schien ihm zu genügen. An einem Punkt brachte er das Publikum sogar dazu, zwei unterschiedliche Begleitungen zu singen. Geiser verstand auch, dass ein Publikum sehr konkrete Anleitung braucht, um mitzumachen, und genau das tat er. Daher fühlte sich das Publikum wahrgenommen, aber nicht als Zirkusnummer verheizt, und das trug ebenso zur grossartigen Stimmung bei wie die Vorgänge auf der Bühne. Dort gab es genügend Raum für Unerwartetes, etwa bei Rolf Moseles einem Solo, als er mit Wahwah-Pedal sein «shredding» unterstützte und das Publikum euphorisch reagierte. Pascal Geiser nahm das wahr und freute sich sichtlich darüber.
Die Qualitäten der beiden Gitarristen war unterschiedlich, was dem Auftritt eine Menge an Vielseitigkeit verlieh. Während Mosele ein schneller Spieler ist, kam bei Geiser der gefühlvolle Bluesman durch, der wenige Noten spielt, aber die richtigen zur rechten Zeit. Ein Entertainer von Kopf bis Fuss, vermochte der aus «dem Niederamt» stammende Aargauer eine wunderbare Stimmung zu erzeugen. Ein Auftritt, der wirklich Spass machte. Wer Geiser noch nie gesehen hat: Mitte Juni tritt er in Rapperswil erneut auf.
Chicago Power mit Hendrix-Flair
Die Umbaupause offenbarte dann bereits, was ab 22:22 auf der Bühne abging: Toronzo Cannon Blues Band, ein Quartett, das kurzfristig zusagte, den durch die kurzfristige Absage Sonny Landreths frei gewordenen Slot am Freitagabend auszufüllen. Toronzo Cannon kam – ganz in weiss mit rotem Hut – auf die Bühne und als er Linkshänder seine Gitarre auspackte, sah man schon, in welche Richtung das gehen würde: Jimi Hendrix war ein Vorbild, denn nicht nur spielt Cannon eine umgedrehte und umgespannte Rechtshänder-Stratocaster wie das Vorbild aus Seattle, er hat sie zudem noch Hippie-mässig bemalt. Das ist durchaus bemerkenswert, gibt es doch Linkshänder-Modelle seit den 1960er Jahren, auch wenn sie früher vielleicht schwer zu finden waren. Die Entscheidung Cannons, eine umgedrehte Strat zu spielen, war also eine bewusste. Hendrix scheint sein grosses Vorbild und ein Einfluss gewesen zu sein, was sich auch in seinen Sounds zeigt, in denen Fuzz eine grosse Rolle spielte.
Cannon ist stilistisch offenbar ein vielseitiger Musiker, er spielte sehr funk-lastigen Blues und seine Ursprünge sind im Reggae zu suchen. Cannon, der sich zuvor als Busfahrer seinen Lebensunterhalt verdient hatte, bemühte sich weniger um das Publikum als Pascal Geiser, aber er beeindruckte mit Gitarren-Pyrotechnik, die kombiniert mit konventionellem Chicago-Blues zu einer Formel wurde für einen unterhaltsamen Spätabend. Cannon wurde von einem Schlagzeuger begleitet, der für meinen Geschmack etwas zu heftig auf den Becken spielte, der aber die Band sauber im Tritt zu halten vermochte. Der Bassist war klein und unauffällig, aber wusste genau, was er tat, und der Keyboarder – selbst noch fast ein Kind – spielte mit grosser Freude an den zur Verfügung gestellten Instrumenten, einem E-Piano und einer B3-Orgel mit Leslie-Speaker.
Toronzo Cannons Auftritt brachte – gerade im Gegensatz zu Pascal Geisers engagiertem Auftritt zuvor – erneut die Frage auf, was es ist, was diese Chicago-Bluesveteranen mitbringen, das ihre Show jeweils so quirlig und lebendig erscheinen lässt. Was die beiden auf ihre Art sehr verschiedenen, aber gleichermassen unterhaltsamen Musiker zeigten war, dass es nur auf eines ankommt: Die Art, wie man auf das Publikum zugeht und wie offen man gegenüber einer Halle voller blueshungriger «Ü-35» Fans ist (O-Ton Geiser).