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Marco Marchi and The Mojo Workers - Here and Now

Musikalischer Schmelztiegel 

Nach Listening To My Soul und My Old River liegt das dritte Album der Gruppe Marco Marchi & The Mojo Workers vor: Here and Now. Beachtlich für eine Band, die erst 2009 gegründet worden war. In den Jahren seither ist einiges geschehen. So gewann die Gruppe 2011 die 2. Swiss Blues Challenge und konnte die Schweiz an der European Blues Challenge 2012 in Berlin und an der International Blues Challenge in Memphis im gleichen Jahr vertreten. Nun hat die Band erneut bekannte und weniger bekannte Songs aus der Vergangenheit neu interpretiert. Wir haben das neue Album angehört und uns mit den Originalen beschäftigt.Die Band hat sich seit Ihrer Gründung mit einem Repertoire aus den Zwanziger bis Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts in der Fachwelt und beim Publikum grossen Respekt erspielt. Durch ihren sorgfältigen Umgang mit dem Material hauchen sie den Songs neues Leben ein und verstehen es vorzüglich, die Balance zwischen Respekt vor den alten Sachen und Mut zur eigenen Interpretation zu halten. Here and Now drückt dies aus: Man spielt die Songs aus der Vergangenheit heute, hier und jetzt.

Es gab einige Änderungen im Lineup. Der Harpspieler Claudio Egli, Gründungsmitglied der Band, wurde durch den Harmonika- und Keyboardspieler Marco Simoncelli ersetzt. Die vorliegende Produktion fiel genau in die Zeit des Übergangs, auf der CD sind daher beide Musiker zu hören. Ausserdem sind der Saxophonist Lukas Hofmann (Flagstaff, Funky Zoo) und der Sänger Richard Broadnax, Gründer der Zion Gospel Singers, als Gastmusiker dabei. Wie bei den ersten beiden Alben schliesst auch diese Scheibe Material aus den akustischen Anfängen im Delta bis zum Beginn des Chicago Blues ein. Die Interpretationen der Songs werden aber um die Stilvielfalt  New Orleans erweitert. Die Band öffnet damit ihren Horizont, bleibt aber unverkennbar. Da wird fröhlich und unbeschwert drauflos musiziert und die Gruppe mixt in ihre Musik alles, was The Big Easy je beeinflusst hat. Heraus gekommen ist eine abwechslungsreiche Melange von dreizehn Songs. Alles klingt locker, selbstverständlich, fröhlich und groovt wunderbar von A bis Z. Da soll noch einer sagen, Blues sei traurige Musik.

Take A Look at Yourself ist nicht etwa ein Cover von Bo Diddleys Before You Accuse Me, sondern einer der Songs von Marco Marchi, eine Art Country Blues mit Latinflair. Marco Simoncellis Einstand an der Harp gelingt mit einem flotten Solo. Ein feiner Opener. Sleepy John Estes schrieb die Mississippi Variante von Wenn das Wasser im Rhein gold‘ner Wein wär: Diving Duck Blues. Klingt Estes Original ganz nach Delta, so zaubern Tobi Stiftners Schlagzeug und Fabio Bianchis Tuba hier wunderbare New Orleans Stimmung herbei. Temperamentvoll geht’s mit Sunday Morning weiter. Just a Closer Walk With Thee ist einer der bekanntesten Gospel Songs. Sein Ursprung ist unklar, liegt aber weit zurück im neunzehnten Jahrhundert, noch vor dem Bürgerkrieg. Bis heute gehört er zu den meistgespielten Gospels an traditionellen Beerdigungen in New Orleans und ist tausendfach gespielt und gecovert. Gesungen wird er vom Gastmusiker Richard Broadnax. Der Farmersohn aus Arkansas, der seit 1997 in Zürich lebt, war während sechs Jahren Leadsänger der Jackson Singers und ist mit einer Stimme gesegnet, die Gänsehaut erzeugt Was für eine grossartige und berührende Version, die gleichzeitig die Ernsthaftigkeit eines Gospels mit der Fröhlichkeit und Lebenslust der Strasse in New Orleans verschmilzt. Little Walters Original von One More Chance aus den Fünfzigerjahren ist zwangsläufig stark Harmonika-lastig. Hier übernimmt Lukas Hofmanns Saxophon den Part der Harp, trotzdem liefert Marco Simoncelli dezente Sprenkel mit seiner Mundharmonika. Der Song kommt jazziger daher, als Jacobs Version im frühen Rock’n’Roll Stil und erhält dadurch einen eigenen Charakter.

Manche Songs werden so populär und sind von so vielen Künstlern so oft gecovert worden, dass sie zu einem Standard werden. Oft wird der Autor deswegen vergessen und der Song als «Traditional» bezeichnet, oder der bekannteste Coverinterpret wird zum Komponisten. Der Folkblues  Sitting On Top of The World gehört in diese Kategorie. Er stammt von Walter Vinston und Lonnie Chatmon, den Gründern der seinerzeit legendären Mississippi Sheiks, erschien 1930 und so gut wie jeder hat den Song gecovert und zwar über die Grenzen des Blues hinweg. Die Folk-, Bluegrass-, Countrymusik hat ihn so selbstverständlich im Repertoire, wie die Rockmusik und interpretiert ihn in ihrem jeweiligen Stil. Immerhin schaffte er es 2008 in die «Grammy Hall Of Fame». Auch dieser Song erhält von Marchi eine gehörige Injektion New Orleans Sound, der sich mit dem Slidespiel, das eher an Country erinnert zu einer interessanten Mischung verbindet.

Natürlich darf im Album einer Band, die sich der Restauration alten Materials verschrieben hat, ein Robert Johnson Titel nicht fehlen. Hier ist es Kind Hearted Woman, ebenfalls ein Standard in vielen Repertoires. All Of Me ist kein Bluestitel, sondern ein Song, der für eine Vaudeville Revue geschrieben worden war und sich bald nach seiner Uraufführung 1931 zu einem Jazz - Standard entwickelte und von unzähligen Interpreten in ihr Repertoire aufgenommen, kürzlich von Eric Clapton auf seinem Album «Old Sock».  Die swingende Version weckt Erinnerungen an den Hot Club de France, natürlich ohne Geige. The Big Tree ist ein weiterer Titel aus der hauseigenen Songschmiede.

Bo Carter, der eigentlich Armenter Chatmon hiess, war gelegentlich bei den oben erwähnten Mississippi Sheiks dabei, wurde aber vor allem mit seinen Hokum Aufnahmen bekannt, die sich fast ausnahmslos durch schlüpfrige Texte auszeichneten. Typische Titel sind: Banana In Your Fruit Basket, Your Biscuits Are Too Big, oder Warm My Wiener. Der Hokum Stil zeichnet sich auch durch schnellen Rhythmus aus, die Songs waren dafür geschrieben, danach zu tanzen.  Auch Carters Song Cigarette Blues gehört dazu. Marco Marchi & The Mojo Workers spielen ihn im Gegensatz zum Original, den Carter solo und akustisch spielt, mit der ganzen Band und so wird daraus eine fetzige Version, die nicht nur tanzbar ist, sondern es fast unmöglich macht, nicht dazu zu tanzen.

Eine Atempause verschafft der elfte Track mit dem passenden Titel Relax Baby. Ein gemütlicher und langsam vor sich hin groovender Song aus Marchis Feder. Ein Kölner namens Albert von Breitenbach siedelte zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in die USA um und nahm dort sein Pseudonym Fred Fisher an, unter dem er zahlreiche Songs schrieb, unter anderem Your Feet’s Too Big, dessen Text von Ada Benson stammt. Fisher wurde 1970 in die «Songwriters Hall Of Fame» aufgenommen. Your Feet’s Too Big war ein grosser Hit für Fats Waller. Die Mojo Workers spielen ihn ausgelassen und erneut im New Orleans Stil.

https://www.youtube.com/watch?v=in1eK3x1PBI

Wenn es einen Gassenhauer der amerikanischen geistlichen Lieder gibt, dann ist es ohne Zweifel Amazing Grace. Es war der englische Kapitän und Sklavenhändler John Henry Newton, der es nach einem Bekehrungserlebnisses vor mehr als zweihundert Jahren schrieb, das ihn überdies anglikanischer Priester werden liess. Das Lied ist uns in unendlich vielen, meist schmalztriefenden Versionen vertraut, gesungen von Opernsängerinnen bis zu Fussball Fanchören. Marco Marchi spielt es solo als letzten Song des Albums. Die Aufnahme stammt nicht aus dem Studio, sondern ist ein Live Mitschnitt eines Bluesgottesdienstes vom Januar 2013, ist also so etwas wie ein Bonus Track. Was soll man sagen? Er spielt es mit dem nötigen Respekt sehr berührend.

Das Album ist das Resultat einer Band mit einem klaren Konzept, das sie in den fünf Jahren ihrer Existenz konsequent umgesetzt und an dem sie ständig gefeilt hat. Von den dreizehn Songs stammen vier aus der eigenen Küche, die übrigen sind Covers Alle Songs und damit die ganze CD lassen einem gut gelaunt zurück. Ich wüsste keine andere Band, die das alte Material so gekonnt adaptiert und damit die grossartigen Songs der alten Meister am Leben erhält.

Website www.marcomarchi.ch

Here and Now – 2015
1. Take A Look at Yourself
2. Diving Duck Blues
3. Sunday Morning
4. Just a Closer Walk With Thee
5. One More Chance With You
6. Sitting On Top Of The World
7. Kind Hearted Woman
8. All Of Me
9. The Big Tree
10. Cigarette Blues
11. Relax Baby
12. Your Feet's Too Big
13. Amazing Grace

 
Marco Marchi; Gitarre, Gesang
Fabio Bianchi; Tuba, Elektrischer «Tabasco» Bass
Toby Stiftner; Schlagzeug, Waschbrett
Marco Simoncelli; Harp, Keyboards
Claudio Egli; Harp auf 2,7,9,10
Richard Boradnax; Gesang auf 4
Lukas Hofmann; Saxophon auf 5,8

Bluesfestival,, New Orleans Stil, Marco Marchi