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Steve Waksman Instruments of Desire

Kulturgeschichte einer Leidenschaft

SteveWaksmanInstrumentsofDesireBuchCoverDas Buch Instruments of Desire : The Electric Guitar and the Shaping of Musical Experience von Steve Waksman ist zwar bereits vor der Jahrtausendwende entstanden, aber da es sich mit historischen Ereignissen befasst, ist das wenig problematisch. Das Buch ist eine Kulturgeschichte der elektrischen Gitarre, wie es natürlich bereits viele gibt, aber dies hier ist wirklich bemerkenswert. Das Narrativ, das Steve Waksman hier vorbringt, unterscheidet sich grundlegend von denen anderer Darstellungen der elektrischen Gitarre, weil es die Genregrenzen ausser Acht lässt und sich nur auf das durch die Gitarristen und ihre Instrumente transportierten Lebensgefühle konzentriert. Dadurch gelingt es Waksman, so unterschiedliche Musiker wie Les Paul und Jimi Hendrix zusammenzubringen. Er analysiert deren Anliegen als identisch und das eröffnet neue Betrachtungsweisen. Dies wird stets gepaart mit der technischen Entwicklung und dem Festhalten der technischen Möglichkeiten, die den Musikern zur Verfügung standen. Was die Geschichte des Blues angeht, so stellt Waksman den historisch bedeutenden Umbruch in den Vordergrund, den Muddy Waters einleitete mit seinen ersten Aufnahmen in Chicago. Muddy Water, seine Band und der Chicago-Blues werden hier als entscheidende Schwelle verstanden, nach der die Musik nicht mehr dieselbe war. Laut Waksman hat die Populäre Musik dem Blues vor allem eines zu verdanken: emotionale Authentizität.

Das Werk Instruments of Desire : The Electric Guitar and the Shaping of Musical Experience versucht die technischen Möglichkeiten und die dadurch zum Ausdruck gebrachten Emotionen miteinander zu verbinden. Indem das Instrument und die damit geschaffenen Sounds sich über den Lauf des Zwanzigsten Jahrhunderts entwickelten, wurde auch das so geschaffene musikalische Erlebnis weiterentwickelt. Dieser Ansatz gefällt mir ausgesprochen gut und er erinnert an das m.E. beste deutschsprachige Buch über Rockmusik und was sie eigentlich leistet: Jean-Martin Büttners Sänger, Songs und triebhafte Rede. In beiden Werken besteht eine Wechselwirkung aus den Erwartungen des Publikums und den Möglichkeiten der Performer, die Grenzen des Anstands auszutesten, aber auch die Grenzen dessen, was Hörerinnen und Hörer noch zugetraut werden kann. Gerade heute, in Zeiten, da jeder selbsternannte Experte mit einer Videokamera einen Youtube-Kanal aufmacht und dort stundenlang über seine Obsessionen und die daraus erwachsenen Ansichten spricht, hebt sich Waksmans Buch ab, weil es analysiert, andere Quellen zitiert und so dem Anspruch akademischer Literatur gerecht wird. Gleichwohl ist es kein Buch mit fünf Fussnoten pro Druckseite, sondern ein flüssig lesbares Werk, das auf jeder zweiten Seite eine kleine Erkenntnis verborgen hält.

Instruments of Desire ist in sieben Kapitel eingeteilt, die auch schon die genreübergreifende Betrachtungsweise klar macht: 1. Playing with Sound: Charlie Christian, the Electric Guitar and the Swing Era, 2. Pure Tones and Solid Bodies: Les Paul’s New Sound, 3. Mister Guitar: Chet Atkins and the Nashville Sound, 4. Racial Distortions: Muddy Waters, Chuck Berry and the Electric Guitar in Black Popular Music, 5. Black Sound, Black Body: Jimi Hendrix, the Electric Guitar and the Meaning of Blackness, 6. Kick out the Jams! The MC5 and the Politics of Noise, 7. Heavy Music: Cock Rock, Colonialism, and Led Zeppelin. Es folgt eine Conclusion: Time Machine, eine Liste von empfohlenen Musikbeispielen und eine grossartige Bibliographie. Das Buch war ursprünglich eine Doktorarbeit und wurde 1998 mit dem «Ralph Henry Gabriel Dissertation Prize» der American Studies Association ausgezeichnet. Der Autor, Prof. Steve Waksman ist heute Teil des herausgebenden Gremiums von Popular Music and Society und Akademiker für Rock- und Popmusik. Im Moment hält er am feinen Smith College in New England den Lehrstuhl für Professor of Music and American Studies.

Wie die Kapiteltitel schon deutlich machen, entwickelt Waksman sein Narrativ nicht entlang der Genregrenzen des Blues, Country oder Jazz. Es geht hier nicht Son House zu Robert Johnson zu Big Bill Broonzy zu Muddy Waters zu Eric Clapton, sondern Waksman versteht die elektrische Gitarre als ein grundsätzlich anderes Instrument als die akustische Gitarre. Die Instrumente sind Ausdruck eines Verlangens, nämlich des Verlangens, sich Gehör zu verschaffen, und fein zu spielen und dennoch grosse Reichweite zu erlangen. So wird auch der Buchtitel Instruments of Desire zweideutig: Die e-Gitarre wird zum Instrument, mittels dessen Musiker ihre Bedürfnisse ausdrücken – und damit wird das Instrument zum Objekt der Begierde der Zuhörerschaft, die hofft, durch Erlernen des Sechssaiters mit Pickup auch sonst in den Charakter ihres jeweiligen Vorbilds zu schlüpfen.

In diesem Buch wird deshalb Les Paul, der ultimative Bastler und Pionier der Gitarrentechnik, der neben der Entwicklung des Instruments selbst — von dem ein bekanntes Modell ja bis heute den Namen des Erbauers trägt — verglichen mit Bo Diddley: beide haben ihre ersten Pickups und Verstärker selbst gebaut, indem sie sich am Familienradio zu schaffen machten. Beide waren im innersten Kern Bastler und beide waren auf der Suche nach einem cleanen Ton. Und es überzeugt: Diddley spielte clean mit heftigem Einsatz von Tremolo. Chet Atkins, der nette, freundliche «Mr. Guitar», dessen Aufnahmen von leichten Klassikern wie Mr. Sandman Lichtjahre entfernt sind von Chuck Berry und seinem Johnny B. Goode, lassen sich vergleichen, weil beide innovative Technik verwenden, um ihre Songs zu polieren. Damit entfernte sich Atkins genauso von seinen rauen Country-Vorläufern wie Berry sich von den Bluesmusikern bei Chess absetzte und dabei den Rock‘n’Roll begründete.

SteveWaksmanPorträtSteve Waksman (Bild rechts) geht immer wieder auf afro-amerikanische Musiktraditionen zurück. Dies ist insbesondere eindrücklich in der Charakterisierung des Chicago-Sounds der späten 1940er und frühen 1950er Jahre. Wo anderenorts das Organisations- und Aufnahme-Genie Willie Dixons oder die unerreichten individuellen Instrumentalqualitäten von Einzelpersonen wie Little Walter hervorgehoben werden als Grund für den speziellen Sound, betreibt Waksman keine Mythenbildung. Der Sound hat klare technische Gründe, die er diskutiert und zur Frage zitiert er auch mehrere andere Quellen. Sein Schluss ist, dass das glückliche Zusammentreffen von lauten Kneipen, leicht übersteuernden Verstärkern, der Aufnahmetechnik der Chess-Brüder, den Arrangements der Muddy Waters Band, aber auch des Slides des Bandleaders mit seinen «5000» (Ry Cooder zitierend) Mikronoten, all diese Dinge waren für diesen einmaligen Sound verantwortlich. Und auch die Personen waren ein Stück weit austauschbar: die Headhunters von Muddy Waters und Jimmy Rogers und die Four Aces von Louis und Dave Myers waren auf Augenhöhe – und an einem bestimmten Zeitpunkt tauschten sie die Harp-Spieler aus: Little Walter Jacobs ging zu den Four Tops, und der noch etwas jüngere Junior Wells stiess zur Vaterfigur Muddy Waters.

Nach dem Kapitel zu Hendrix und seinem Rassenverständnis führt der Text zur Band MC5 oder Motor City 5, einer Punkrockband aus Detroit, die noch in den 60er Jahren Erfolg hatte in den USA, über die zu lesen ich aber ausgelassen habe. Über dieses Kapitel kann ich also nichts sagen. Das Buch endet mit einem Abschnitt zu Led Zeppelin und damit wird auch klar, welche Musik der Auto als Jugendlicher hörte. Er war einer der harten Jungs, und er hat dies zum Antrieb genommen, seiner Leidenschaft auf den Grund zu gehen, und das Resultat ist höchst lesenswert.

Insgesamt ist dies die Kulturgeschichte eines Instruments, aber auch einer Suche nach Sound entsprechend den technischen Möglichkeiten. Mit dem Instrument kamen aber auch die Möglichkeiten der Selbstdarstellung auf der Bühne, und hier ist die Gitarre unbeweglichen Instrumenten wie dem Piano ebenso überlegen wie solchen, die eine überaus spezielle Haltung erfordern (Geige oder Flöte) oder Instrumenten, bei denen die Mimik als Kommunikationsmittel nicht zur Verfügung steht (Bläser). Chuck Berrys Duck Walk mit von seinem Schoss aufgereckten Gitarrenhals wird nicht phallisch interpretiert. Es genügt der Hinweis auf die Möglichkeit.

Ein Argument fliesst ins nächste, mit grosser Überzeugungskraft stellt Steve Waksman seinen Fall dar, und selbst wenn er dabei nicht überzeugen sollte, lohnt es sich, Les Paul und Mary Ford, Muddy Waters solo oder in Band, Merle Haggert und Chet Atkins, Jimi Hendrix und Charlie Christian als aufeinander bezugnehmende Musiker anzuhören und ihre Gemeinsamkeit herauszuhören: die elektrische Gitarre.

Steve Waksman – . Instruments of Desire : The Electric Guitar and the Shaping of Musical Experience – . Cambridge, London: Harvard University Press, 1999 – . ISBN 978-0-674-00547-1.