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Bonnie Raitt Slipstream

Back in Shape

Die kalifornische Blues-Lady und Slide-Gitarristin Bonnie Raitt hat ihr 19. Album veröffentlicht, Slipstream. Das Wort steht sowohl für eine Luftverwirbelung wie für den Windschatten, und tatsächlich passt beides, denn Raitt hat sich mehrere Jahre zurückgezogen und kommt nun mit neuem Elan zurück ins Studio. Sie liefert ihre seit Nick of Time beste Performance ab, trotzdem nennt «Rolling Stone»-Autor Anthony DeCurtis sie weit unterschätzt. Und wer die CD hört, fragt sich wirklich irgendwann unweigerlich, wieso diese Frau noch immer ein Spartenphänomen ist. Die CD bedient viele Sparten von Musik, auch Blues, aber vor allem ist es immer 100% Bonnie Raitt. Das Album hat alle Möglichkeit, der Kalifornierin einen grossen Erfolg zu beschaffen, denn es bringt ihre Qualitäten wunderbar zum Ausdruck. Slipstream tut dies so sehr, dass sich der Vergleich mit ihrem Grammy-ausgezeichneten Hit-Album Nick of Time von 1989 aufdrängt.

Das neue Album hat Raitt zusammen mit Ryan Freeland (Ray LaMontagne, Ramblin' Jack Elliot) produziert und in Zusammenarbeit mit ihrer langjährigen Tour-Band eingespielt. Vier der zwölf Songs wurden von Joe Henry produziert, eine Country-Spezialisten, der zuletzt Solomon Burkes Don't Give Up On Me und Betty Lavettes I've Got My Own Hell to Raise produzierte. Gäste sind Bill Frisell, Al Anderson, Paul Brady, Greg Leisz und Maia Sharp.

Bonnie Raitt hat vor sieben Jahren ihre letzte CD veröffentlicht, inzwischen ist vieles geschehen, wie sie in einem Interview erzählte: Zwischen 2004 und 2009 starben Eltern und älterer Bruder, dazu war sie seit 18 Jahren ununterbrochen auf Tour gewesen, man muss mal etwas abschalten. Yoga und innere Ruhe haben der Schülerin von «Mississippi» Fred McDowall gut getan, ihr neues Album Slipstream kommt einerseits frisch und knackig, aber auch mit der Erfahrung einer gut eingespielten Band. Die CD ist zwar eine reife Leistung, gleichwohl gibt es auffällig wenig Entwicklung gegenüber ihrem 1989er Hit-Album Nick of Time, was nicht wertend gemeint ist, sondern als Feststellung. Aber schon ein oberflächlicher Vergleich der Cover — Bonnie alleine vor neutraler Wand, eher rechts im Bild — drängt den Vergleich auf.

Die Formel hat sich bewährt, und so spielte Raitt ein Album ein, das erneut grosses Potential hat, zu einem Erfolg zu werden. Sie hat wieder mal gezeigt, was sie kann, was neben ihrem charakteristischen Slide-Spiel auch ihre unglaublich gute Singstimme beinhaltet. Ihr Gesang ist noch immer magisch, und zumeist singt sie auch noch Texte, die etwas aussagen. Bonnie Raitt ist in der Blues Hall of Fame, der Rock’n’Roll Hall of Fame, mehrfache Gramy-Gewinnerin und seit Jahrzehnten eine feste Grösse im Blues, demnächst wird ihr ein weiterer Preis verliehen werden, der den «Americana Lifetime Achievement Award» in der Kategorie «Performance»,  aber die neue CD hat trotzdem das Feeling eines Comeback-Albums. Sie will es wieder wissen, das ist was diese CD auszeichnet. Veröffentlicht auf Red Wing Label, ihrem eigenen Label, tritt sie als Frau auf, die im Reinen ist mit sich und der Welt.

Ihr Anspruch, auch selbst Musik zu schreiben, die etwas aussagt, wird mit dem ersten Titel deutlich. Used to rule the world erzählt über eine Schönheitskönigin von 1973 und andere Menschen, die durchs Leben müde und verblüfft auf die Trümmer ihres Lebens schauen und sich erinnern, wie es war, als sie noch die Welt regierten. Funky Gitarrengegrummel kommt dazu aus dem einen Kanal, Stimme und Orgel aus der anderen. Erst nach 3 Minuten kommt das erste Slide-Solo, das dreckig und bluesig ist und genau richtig. Ein Solo einer Elder Stateswoman des Blues.

Right Down the Line ist ein mit Off-Beat-Begleitung im Stile eines Reggae aufgehübschter Popsong. Der Titel ist ein Cover eines Oldies von Brit-Pop-Legende Gerry Rafferty (1947-2011, Baker Street). Das Original ist aber selbst nicht weit vom Reggae entfernt und so wurde der Song geschmackvoll entstaubt. Hitparadenpotential kann man sich bei diesem Titel durchaus vorstellen

Million Miles, ein Dylan-Titel, ist dann zur Abwechslung mal ein Blues, ein wirklich schöner und entspannter Song mit einem Backporch-Feeling. Im Solo zeigt Bonnie Raitt dann, wieso sie von B.B. King als beste Slide-Spielerin der Gegenwart (ohne die Geschlechter-Differenzierung!) bezeichnet wird, was wohl auch Derek Trucks nicht in Zweifel ziehen würde. Ihr Solo ist genau die Perfektion, die 40 Jahre Reife braucht. You Can’t Fail me Now  ist eine langsame Ballade mit einem Gitarrenton zum reinkriechen. Eigentlich ein unschuldige Liedchen, berührt es dennoch. Joe Henry und Loudon Wainwright III haben es geschrieben, und das ist ein charakteristischer Titel für Raitt, weil es einfach schöne Musik ist, ungeachtet der Einordnung oder gar der Gefahr, schmalzig zu werden, was sie konsequent zu vermeiden weiss.

Mit dem nächsten Titel Down to you wird es dann lebendiger, ein Piano und schon fällt die Band in einen schlau gespielten modernen Blues, richtiger Bonnie Raitt Trademark-Sound. Unverwechselbar und charakteristisch, eher emotional als musikalisch bluesig, trotzdem enorm stimmig. Der Song entspricht Thing Called Love auf Nick of Time. Take my love with you geht mit einem schmusigen spanisch angehauchten Folk-Feeling los, akustische Gitarre und mehrstimmiger Gesang. Take my love with you ist der Text einer Frau, die ihrem Liebsten zum Abschied alles Gute wünscht. Vielleicht für den einen oder die andere klingt dies tatsächlich etwas schmalzig, aber der Titel hat ebenfalls Hit-Potential.

Nochmal eine Runde schmusiger wird es auf der Liebesballade Not cause I wanted to. Auch hier ein Echo von Titeln auf Nick of Time, nämlich Too soon to tell, oder Cry on my shoulder. Damals wie heute ist ihre Stimme perfekt für melancholische Balladen. Hier streut noch jemand ein akustisches Solo ein. Bei Gästen wie Bill Frisell braucht sie ja auch nicht alle Soli selbst zu spielen. Ein schöner Titel, ohne Zweifel, aber definitiv nicht mehr dem Blues zuzurechnen.

Ain't gonna let you go beginnt dann mit einem harten Wechsel: Ein Gitarrenlick wie ein Schuss: ein Boogie-Riff, dann noch eines. Allmählich nimmt ein Boogie Gestalt an, wie ihn John Lee Hooker nicht besser hätte spielen können. Dieser Titel beginnt als Verneigung vor Hooker, ehe dann der Bonnie Raitt-Sound wieder das Zepter nimmt. Ein ausgedehntes Solo zum Schluss holt den Song endgültig zurück nach Hause. Vergleichbar The Road’s My Middle Name auf Nick of Time, ist auch dieser Titel eine getreue Nachbildung eines alten 50er Jahre Blues, dort Chicago-Style, hier Boogie.

Sozialkritischeres verspricht Marriage made in Hollywood, ein Song mit anspruchsvollem Text. Die Hochzeit made in Hollywood ist jene zwischen Gier und Jugend («Greed and Youth»). Das Vergnügen an Tragödien, die über‘s Fernsehen zu uns gebracht werden etc. Auf Split decision lässt die Band nochmal richtig die Fetzen fliegen. Ein schneller Country-Rock-Song mit sehr bluesigem Groove.  Standing in the doorway ist neben Million Miles die zweite Komposition von Bob Dylan. Erneut ein nachdenklicher, sanfter Song.

God only knows ist der Closer, ein Piano-Song, bei dem die Gitarren schweigt. Auch hier eine Parallele zum früheren Album: I Ain’t Gonna Let You Breake Ma Heart Again heisst der Vorläufer dieses Songs, der erneut die melancholische Stimme Bonnie Raitts in den Vordergrund rückt.

Insgesamt ist dies ein wunderbares Album, wenn vielleicht auch kein reines Blues-Album, aber es enthält einfach gute Musik, die Spass macht, dazu eine schöne Singstimme und auch noch ansprechende weil nicht zu sinnfreie Texte.

Als «Versucherli» gibt es hier einen Link zu einem Auftritt im US-Fernsehen, bei dem sie Rafferty Song zum Besten gibt.

 

Bonnie Raitt Slipstream

1.   Used to rule the world
2.   Right down the line
3.   Million miles
4.   You can't fail me now
5.   Down to you
6.   Take my love with you
7.   Not cause I wanted to
8.   Ain't gonna let you go
9.   Marriage made in hollywood
10. Split decision
11. Standing in the doorway
12. God only knows