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Fritz Rau: 50 Jahre Backstage

Erinnerungen eines Konzertveranstalters 

fritzraubio.jpgDiese Autobiographie ist leider kein sehr gutes Buch. Fritz Rau hat ein Leben für die Rock- und Popmusik gelebt, seine Verdienste sind mannigfaltig, und Bluesfans sollten die spezielle Bedeutung dieses Mannes anerkennen, der zusammen mit seinem Partner Horst Lippmann in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts die verschiedenen Ausgaben des American Folk Blues Festival organisiert und durchgeführt hat. Das Festival gab es jedes Jahr bis 1982. 

 

Seine Autobiographie ist unglücklicherweise ein schlecht geschriebenes Buch, und der Heidelberger Palmyra-Verlag hat sich nicht mit Ruhm bekleckert, als er dieses Werk herausgebracht hat. Es scheint kaum ein Lektorat gegeben zu haben und wenn, dann wäre das nur an den nicht vorhandenen Druckfehlern zu erkennen. Die Biographie macht allerdings deutlich, dass Fritz Rau als Mann von hohen Qualitätsansprüchen sicher diesbezüglich ein sehr tadelloses Manuskript abgeliefert hat. Aber ein inhaltliches Lektorat, das fehlt diesen Memoiren offensichtlich, und somit plaudert Fritz Rau einfach so aus dem Nähkästchen.

 

Fritz Rau 50 Jahre Backstage : Erinnerungen eines Konzertveranstalters - . Heidelberg: Palmyra, 2005

Rau musste als Veranstalter die Karten eng an der Brust halten, wie er deutlich macht, denn ein schlauer Konzertveranstalter darf nicht zuviel seiner Geheimnisse aufdecken und muss wissen, dass es den Unterschied gibt zwischen der Show auf der Bühne und den Geheimnissen dahinter, dem Backstage-Bereich eben. Und in seinen Memoiren lässt er den Leser leider auch nicht ganz backstage, er sagt eben nicht alles, und wenn es interessant wird, schweigt sich Fritz Rau allzu häufig aus, wohl um seine Künstler nicht zu beleidigen oder um es sich auch ja mit niemandem zu verderben.
 
So bleibt die Biographie eine Aufzählung von Namen berühmter Künstler, die er getroffen hat, deren Konzerte er veranstaltet hat, und für die er sich das sprichwörtliche Bein ausgerissen hat. Aber wer eine Biographie dieses Mannes liest, der interessiert sich wohl dafür, etwas über die Künstler zu erfahren, was man so sonst vielleicht nicht mitkriegt, und in dieser Beziehung bleibt das Buch oberflächlich und damit uninteressant.
 
Es folgen einige Beispiele: Rau schreibt: „In Baden-Baden hatte der geniale Sänger und Mundharmonikaspieler Sonny Boy Williamson die unheilvolle Idee, ein Kaninchen zu schlachten und sich daraus auf seinem Zimmer in einem recht vornehmen Hotel ein Essen zu kochen. Dies geschah nicht ohne erheblichen Schaden für das Zimmer, und wir hatten grosse Mühe, nicht aus dem Hotel verwiesen zu werden.“ (S. 44). Diese Geschichte wäre sicher interessant gewesen, wenn man erfahren hätte, a) wie Williamson in Baden-Baden ein Kaninchen aufgetrieben hat oder b) wie man das Hotelmanagement besänftigt hat (hat Rau ein Spezialkonzert organisiert? Hat er ihnen etwas von den armen Schwarzen im Süden erzählt und ist die Mitleidstour gefahren?) oder c) wie Sonny Boy reagierte, als man Rau ihn von der Widersinnigkeit seines Vorhabens überzeugte. Mit anderen Worten, die Episode ist nur dann erzählenswert, wenn man etwas erfährt, aber so erfährt der Leser nur, dass noble Hotels in Kurorten es nicht mögen, wenn man Kaninchen auf dem Zimmer brät — big deal. Nach über 40 Jahren hätte er sicher auch sagen können, welches Hotel es war, ohne dass er rechtliche Schritte zu befürchten gehabt haben müsste.
 
Dass das Zusammentreffen eines deutschen Konzertveranstalters mit den Bluesern der Chess-Generation ein tolles Erlebnis war, stellt man sich ja durchaus vor. Deswegen ist es zu dürftig, wenn Rau schreibt: „Die Begegnungen mit unseren Blueskünstlern von 1962 bis 1982 haben einen starken Eindruck bei mir hinterlassen und mich sehr geprägt. Es gäbe noch einiges mehr über meine Aktivitäten zum Wohle der Musiker zu erwählen, schon da ich eine nahezu mütterliche Fürsorge für unsere Blueskünstler entwickelte“ (S. 45–46). Wenn man dieses Buch kauft, wüsste man doch wohl gerne, in welcher Form es ihn geprägt hat. Welchen starken Eindruck haben sie hinterlassen. Immer wieder würde man Fritz Rau gerne fragen, was er eigentlich meint. So bleibt es eine letztlich belanglose Anspielung.
 
Auch bleibt der Mann seltsam unkritisch, wenn es um den Umgang mit Schwarzen Musikern geht. Nicht nur, dass er diese Künstler in dieser Passage als „unsere“ (bezieht sich auf Lippmann und Rau) bezeichnet, gleich anschliessend an die mütterliche Fürsorge schreibt er weiter: „Auf der anderen Seite gab es aber auch Leute wie Muddy Waters, der ein Grandseigneur des Blues und eine sehr starke Persönlichkeit war. Er wies meine Bemühungen nicht ganz zu Unrecht mit der Bemerkung zurück: »Don’t overdo it. We are no children!« [Übertreib mal nicht, wir sind keine kleinen Kinder.]“ (S. 45). Es wäre schön gewesen, hier aus der Distanz eine kritische Reflexion seines Umgangs mit diesen ein Leben lang dem Rassismus ausgesetzten Bluesern zu lesen, einen Versuch, die Haltung von 1962 zu erklären. So bleibt sein zunickendes „nicht ganz zu Unrecht“ letztlich eine weitere Patronisierung Muddy Waters’.
 
Auch über seine spezielle Förderung deutscher Künstler — Udo Lindenberg, Ina Deter, Peter Maffay, Ulla Meinecke — schreibt Rau viel, oder Kapitel 10 bringt ein „Plädoyer für einen Begriff der Unterhaltungskultur“, in dem Rau seine Art der musikalischen Unterhaltung gegen „Deutschland sucht den Superstar“ abgrenzt oder andere Shows dieser Machart. Wer aber dieses Buch kauft, hat diesen Unterschied wohl schon verstanden, und der Kampf E-Musik gegen U-Musik ist schon längst ausgefochten und entschieden.
 
So bleibt das Buch am Schluss eine Publikation für die darin namentlich erwähnten, und für alle anderen, die „damals“ eben nicht dabei waren, hat es kaum Mehrwert. Schade eigentlich, denn Fritz Rau war Augenzeuge unzähliger interessanter Episoden. Dies aus ihm heraus zu kitzeln wäre die Aufgabe des Verlags gewesen, der eben geschlafen hat und gestützt auf den Namen Fritz Rau einen Verkaufshit landen wollte.